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Antonin
Artaud
(1896-1948)

Artaud

Das Theater, sein Theater, für das Artaud seit den Dreißiger Jahren, in der berühmten Aufsatzsammlung „Das Theater und sein Double", die Bezeichnung „Theater der Grausamkeit" verwendet, soll „dieser Schmelztiegel aus Feuer und Fleisch" die Anatomie zum Tanzen bringen, den Mythos nicht symbolisch, sondern „physisch und unverfälscht" darstellen: als „die mythische Handlung, einen Körper zu erschaffen". Theater ist für Artaud rituell und magisch - ein Fest, ein Akt der Entgrenzung, der seinen Sinn in sich selbst trägt. Damit formuliert er im 20.Jahrhundert die klarste Absage an das mimetische, psychologische Theater, das Wirklichkeitnurvorspiegelt, repräsentiert, statt sie selbst zu sein. Es ist zugleich die radikale Absage an ein Theater, das vorgegebene Texte umsetzt und damit sein Eigenes, das Szenische, in den Dienst des Literarischen stellt. Autor und Regisseur sind bei Artaud nicht länger zwei Personen. Es ist weiter die Absage an die Guckkastenbühne, die Trennung zwischen Schauspieler und Zuschauer. Artaud schwebte ein „spectacle total" aus der Dynamisierung des Raumes, aus Bildern, Masken und nichtverbaler Körpersprache vor - der genaue Gegenpol zu Brechts Konzeption des Verfremdungseffekts. «Grausamkeit» meint dabei nicht vordergründig Blut, Mord, Gewalt, Grauen, sondern überindividuelle Notwendigkeit und Unerbittlichkeit des Gezeigten. Kein Happening, sondern die strenge Epiphanie des Heiligen, Göttlichen, das von Gott verdorben wurde. Deshalb sind Zweifel angebracht, ob Artaud, wie unlängst in einer Studie behauptet wurde, der Wegbereiter des postmodernen Theaters ist. Sicher, in Heiner Müllers wüsten Collagen oder in Robert Wilsons weitgehend stummen Bilderreigen lassen sich Anregungen durch Artaud, den bedeutendsten Theatertheoretiker des Jahrhunderts, nicht verleugnen. Das „Arme Theater" Jerzy Grotowskis, das „Living Theater", Peter Brooks interkulturelles Theater oder Ariane Mnouschkines „Theatre du Soleil" sind ohne Artaud nicht denkbar. Antonin Artaud wollte die Kunst von der Wiederholung befreien, sie in die Reinheit einer absoluten Gegenwart führen. Doch wie Leben ohne Tod, ist Gegenwart ohne Abwesenheit, Identität ohne Differenz nicht denkbar. Die Grenze, die er zu überschreiten versuchte, ist in Wahrheit unerreichbar. Er selbst hat das möglicherweise gewusst. Am 18.Juli 1947, 6 Monate vor seinem Tod am 4.März 1948, schreibt er: „Ich hätte Blut durch den Nabel scheißen müssen, um zu erreichen, was ich will". (Text von: Bettina Schulte, Badische Zeitung 3.9.96


Die Sprache brechen, um das Leben zu berühren. Schluß machen mit allen Gegensätzen.Kunst und Leben, Bewußtsein und Körper, Zeichen und Bezeichnetes nicht mehr unterscheiden. Unter der Grammatik Liegt das Denken Begraben.Den Körper zur Hieroglyphe machen, zum Schauplatz einer Artikulation vor den Wörtern: der Geste, des Atems, des Schreis, Die Nerven, die Haut die Knochen sprechen lassen. Sich selbst erzeugen, im (narzißtischen Wüten gegen alle genealogischen, sozialen, religiösen Zuschreibungen: Ich Antonin Artaud, ich bin mein Sohn/mein Vater, meine Mutter/und ich selbst". A. Aratud

Artaud

Artaud Texte.
Man kann die Bibliothek von Alexandria in Flammen aufgehen lassen.Über den Papyri und außerhalb von ihnen gibt es Kräfte: zwar wird man uns für einige Zeit die Möglichkeit nehmen, diese Kräfte wiederzufinden, ihre Wirksamkeit jedoch wird sich nicht unterdrücken lassen...die Kultur ohne Zeit und Raum, die unsre Nervenkapazität aufbewahrt, wird mit größter Wirksamkeit wieder zutage treten.


....Wie jede magische Kultur, die von angemessenen Hieroglyphen gestiftet wird, besitzt auch das echte Theater seine Schatten; und von allen Sprachen und allen Künsten ist es die einzige, die noch Schatten hat, die ihre Begrenztheit durchbrochen haben. Von allem Ursprung an, kann man sagen, ertrugen sie keine Begrenztheit.

 

...Das Theater, das nicht in etwas Bestimmtem ist, sondern sich aller Sprachen bedient, Gesten, Töne, Worte, Leidenschaften, Schreie, findet sich genau an dem Punkte wieder, wo der Geist eine Sprache bedarf, um seine Äußerungen kundzutun.

..Die Sprache durchbrechen, um das Leben zu ergreifen, das heißt Theater schaffenoder neu ihm zu schaffen, dies führt dazu, die gewohnten Begrenztheiten des Menschen und seine Fähigkeiten zu verwerfen und die Grenzen dessen, was man Realität nennt, bis ins Unendliche zu erweitern.

 ...Man muß an einen durch das Theater erneuerten Sinn des Lebens glauben, wo sich der Mensch unerschrocken dessen bemächtigt, was noch nicht jetzt existiert  und es geboren läßt. Und alles was noch nicht  geboren ist , kann noch geboren werden, vorausgesetzt, dt  geboren ist , kann noch geboren werden, vorausgesetzt, daß wir uns nicht damit zufriedengeben, bloß aufnehmende nur ein Gerät zu bleiben.
So gilt es auch zu verstehen, daß es sich, wenn wir das Wort Leben aussprechen, dabei nicht um das durch die Äußerlichkeit der Tatsachen bestimmte Leben handelt, sondern um jene Art zarten, lebhaften Feuers, an das keine Form rührt.

"...Wenn es überhaupt etwas Infernalisches, wirklich Verfluchtes in dieser Zeit gibt, so ist es das künstlerische Haften an Formen, statt zu sein wir Verurteilte, die man verbrennt und die von ihrem Scheiterhaufen herab Zeichen machen."

 

 

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